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Viertagewoche "Freitags arbeiten wir nicht"

Wer weniger arbeitet, schafft mehr, behaupten Anhänger der Viertagewoche - und zahlen ihren Mitarbeitern den vollen Lohn trotz langem Wochenende. Wie funktioniert das?
Einen Arbeitstag in der Woche weniger, ein glücklicheres Team? In Deutschland haben bisher nur vereinzelt Betriebe die verkürzte Arbeitswoche umgesetzt.

Einen Arbeitstag in der Woche weniger, ein glücklicheres Team? In Deutschland haben bisher nur vereinzelt Betriebe die verkürzte Arbeitswoche umgesetzt.

Foto: Luis Alvarez/ Getty Images

Weniger Vorgaben, mehr Freiheiten und mehr Verantwortung - unter dem Schlagwort New Work krempeln derzeit viele Chefs ihre Firmen um. Sie lassen ihre Mitarbeiter entscheiden, wo und wann sie arbeiten möchten, machen Gehälter transparent oder schaffen Hierarchien ab. Wie sieht New Work im Alltag aus? Das erfahren Sie in unserer Serie.

Wer an einem Freitag beim Berliner Softwarehersteller Planio anruft, erreicht nur den Anrufbeantworter. Eine männliche Stimme erklärt dann, warum niemand abhebt: "Freitags arbeiten wir nicht, da das ganze Team bei Planio nur eine Viertagewoche hat." Wer die Taste Vier drückt, kann von Gründer Jan Schulz-Hofen mehr zu Idee und Motivation erfahren.

Er erzählt dann, wie er die Viertagewoche zuerst an sich selbst ausprobiert hat. 2010 hatte er seine Software-Firma gegründet, nach sieben Jahren fühlte er sich ausgelaugt. Und so beschloss er, freitags erst von zu Hause aus zu arbeiten - und dann gar nicht mehr.

Mehr Energie am Montag

"Ich habe gemerkt, dass ich in vier Tagen beinahe genauso viel schaffe wie vorher - nur mit deutlich mehr Energie", sagt Schulz-Hofen. Ein knappes Jahr später schlug er seinen acht Mitarbeitern deshalb ein Experiment vor: Was, wenn alle freitags freimachen? Seitdem fängt für die Planio-Belegschaft das Wochenende schon am Donnerstagabend an - bei vollem Lohnausgleich.

Schulz-Hofen sagt, er habe schon Angst davor gehabt, dass seine Mitarbeiter ihre Arbeit nicht mehr schaffen würden und die Kunden unzufrieden seien. Aber nichts davon sei eingetreten: Kaum ein Kunde habe sich beschwert, die Geschäftszahlen seien weitestgehend gleich geblieben. Zwar würde es nun etwas länger dauern, eine Software weiterzuentwickeln, aber seine Mitarbeiter würden nun montags mit mehr Energie arbeiten. Er selbst nutze seinen freien Tag für Sport und Behördengänge und verreise nun auch öfter.

41,4 Stunden, so viel arbeiteten Vollzeitbeschäftigte 2018 in Deutschland durchschnittlich pro Woche . Aber wie viele Stunden davon arbeiten sie konzentriert?

Schon vor einigen Jahren berichteten australische Forscher, dass kognitive Fähigkeiten bereits ab 25 Stunden Arbeit pro Woche nachlassen. Sie machten vor allem Stress dafür verantwortlich, dass die Leistung der Mitarbeiter bei höherer Stundenzahl abnahm. Sechs Stunden Arbeit pro Tag würden demnach völlig ausreichen.

"Kein Mensch kann acht Stunden hoch konzentriert arbeiten"

Wer lange arbeitet, arbeitet nicht zwangsläufig effizienter, sagt auch Tim Hagemann, Professor für Arbeitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie Bielefeld. "Kein Mensch kann am Tag acht Stunden hoch konzentriert durcharbeiten - auch nicht mit viel Selbstdisziplin." Große Zeitfresser im Berufsalltag: E-Mails, Kaffeepausen oder lange Meetings.

Auch gesundheitlich profitieren Beschäftigte von reduzierten Arbeitszeiten, wie eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz  zeigt: Demnach führt eine kürzere Arbeitswoche zu verringerten Stresswerten, niedrigerem Blutdruck und weniger Krankheitstagen - denn das Risiko für Rückenschmerzen, Herzinfarkte und Schlafstörungen wächst, je länger man arbeitet.

Und viele Menschen wünschen sich eine Reduzierung der Arbeitszeit: Jeder zweite Erwerbstätige würde gern nur noch 35 Stunden in der Woche arbeiten - auch zu dem Preis, dass der Verdienst entsprechend sinkt.

Das neuseeländische Fondsunternehmen Perpetual Guardian hat sich im Jahr 2018 an die verkürzte Arbeitswoche gewagt: Dort durften die 240 Mitarbeiter selbst entscheiden, an welchem Wochentag sie sich freinehmen. Nach einer zweimonatigen Testphase verkündete die Geschäftsleitung im November 2018, das Konzept dauerhaft umzusetzen: Die Beschäftigten seien sowohl produktiver als auch zufriedener gewesen. Auch Microsoft in Japan hat im vergangenen Jahr die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich mit seinen 2300 Mitarbeitern getestet. Das Fazit: Dem Unternehmen zufolge stieg die Produktivität der Beschäftigten um 40 Prozent.

Weniger Arbeit = weniger Fehler

Aber nicht in allen Berufen kann in weniger Zeit mehr gearbeitet werden: Ein Pilot beispielsweise kann nicht einfach schneller fliegen, nur um früher Feierabend zu haben. Und auch wenn ein Pfleger seine Patienten versorgt, ist schneller nicht zwangsläufig besser. "Eine Viertagewoche kann sich vor allem bei kreativen Berufen oder in der Wissensarbeit lohnen, wenn es um Analysen und Planung geht", sagt Arbeitspsychologe Hagemann. "Gerade im Dienstleistungssektor, in Pflegeberufen oder bei zeitgebundenen Jobs halte ich den Tag weniger allerdings für illusorisch."

In Deutschland haben bisher nur vereinzelt Betriebe die verkürzte Arbeitswoche umgesetzt, darunter vor allem Start-ups und kleinere Unternehmen. "Viele tun sich noch schwer, sich von ihren Arbeitszeitmodellen oder Schichtdiensten zu lösen", so Hagemann.

Die Wirtschafts- und Steuerkanzlei Rose & Partner hat sich trotzdem getraut. Im Mai 2019 wurde die wöchentliche Arbeitszeit der rund 40 Mitarbeiter in Berlin, Frankfurt, München und Hamburg auf 36 Stunden beziehungsweise 34 Stunden gekürzt - bei vollem Lohnausgleich. Und alle Angestellten dürfen seitdem selbst entscheiden, ob sie ihre Stunden lieber an vier oder fünf Tagen in der Woche abarbeiten wollen.

In Hamburg haben sich die 25 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen darauf geeinigt, den Freitag freizumachen. Falls Mandanten doch einmal ein wichtiges Anliegen haben, gibt es eine Notfallbetreuung. Diese werde aber "deutlich seltener, als man denkt," in Anspruch genommen, sagt Bernfried Rose, Partner in der Kanzlei. Die reduzierte Arbeitszeit verkauft er den Mandanten sogar als Qualitätsmerkmal: "Wer jeden Tag bis spät in die Nacht arbeitet, macht auch mehr Fehler - und die können in unserer Branche richtig teuer werden."

Podcast "Arbeitspioniere: Gelebte New-Work-Modelle"
Andreas Stückl, CEO und Gründer von Bike Citizens Deutschland, im Gespräch mit Sandrina Lorenz

Andreas Stückl, CEO und Gründer von Bike Citizens Deutschland, im Gespräch mit Sandrina Lorenz

Foto: manager magazin

Für die fünfte Folge unserer neuen Podcast-Reihe "Arbeitspioniere" hat Sandrina Lorenz mit Andreas Stückl gesprochen, der in seinem Technologieunternehmen Bike Citizens die Vier-Tage-Woche eingeführt hat. Hier erklärt er, wie man trotz der Umstellung eine Überbelastung der Mitarbeiter verhindert und für wen das Modell nicht geeignet ist.    

Hier geht's zum Podcast

Roses Fazit: "Seit wir die Viertagewoche in Hamburg eingeführt haben, haben wir insgesamt zufriedenere Mitarbeiter, weniger Krankheitstage, mehr Stabilität im Team." In vielen Unternehmen übersteige ein freier Tag die Vorstellungskraft - "dabei ist das alles nur eine Frage der Organisation".

Ihm sei allerdings auch bewusst, dass sich nicht jedes Unternehmen das neue Arbeitsmodell leisten könne: "Es kostet ein wenig mehr Geld als vorher, denn natürlich schaffen wir bei einem Arbeitstag weniger pro Woche nicht ohne Weiteres das gleiche Pensum wie vorher." Im vergangenen Jahr mussten sie deshalb neue Mitarbeiter einstellen.  

Trotzdem glaubt Rose an die langfristige Wirtschaftlichkeit des Modells - gerade in Zeiten von Fachkräftemangel: "Durch unsere reduzierten Arbeitszeiten konnten wir Anwälte mit tollen Qualifikationen und Referenzen im Lebenslauf gewinnen - die hätten früher vielleicht eher eine Großkanzlei vorgezogen, in der sie mehr verdienen."

Fazit

Wenn Unternehmen sich darauf einlassen, kann eine Viertagewoche viele Vorteile haben: gesündere und zufriedene Mitarbeiter, mehr Freiheiten. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten zwar nicht zwangsläufig, dass Mitarbeiter gleich deutlich produktiver arbeiten. Sich von starren Arbeitszeiten zu lösen ist zumindest schon einmal ein Eingeständnis, dass niemand nur deshalb mehr Aufträge schafft, weil man länger als andere am Schreibtisch hockt.

Nicht für alle Unternehmen ist die Viertagewoche geeignet, denn nicht überall lässt sich Zeit durch effektivere Arbeit einsparen. In bestimmten Branchen muss man sich die reduzierte Arbeitszeit deshalb auch leisten können, weil man beispielsweise neue Mitarbeiter einstellen muss. Trotzdem werden Unternehmen im Zeitalter von Digitalisierung und Fachkräftemangel nicht daran vorbeikommen, zukünftig noch mehr über die Umsetzung flexibler Arbeitszeitmodelle nachzudenken.

Tipps für Firmen, die eine Viertagewoche einführen wollen:

  • Binden Sie Ihre Mitarbeiter in Ihre Pläne ein und geben Sie Ihnen Zeit, darüber nachzudenken, wie sie anders arbeiten könnten. Setzen Sie niemanden unter Druck.

  • Beginnen Sie die verkürzte Woche als Experiment und legen Sie Ihre Geschäftsziele und -vorgaben vorher fest.

  • Informieren Sie Kunden über die neuen Arbeitszeiten und bereiten Sie sie darauf vor, dass sich an einem Tag pro Woche niemand zurückmelden wird.

  • Seien Sie ein Vorbild und halten Sie sich selbst an den freien Tag. Schicken Sie trotzdem weiter regelmäßig E-Mails, wird das Konzept nicht funktionieren.